Chronik des Weilers Hirschau  1883 - 1958

 

 

Die Vorgeschichte

 

Der Weiler Hirschau wurde um das Jahr 1150 gegründet, also schon in den Anfangsjahren des Klosters Steingaden.

Hirschau war eine der "Au - Ansiedlungen" innerhalb des Gebietes des Klosters Steingaden. Diese Rodungssiedlungen wurden nach genauen Vorgaben geplant und auch so erbaut, meist aus drei, manchmal auch aus vier Anwesen bestehend, wie z. B. Butzau, Litzau oder Reitersau.

In der Zeit um 1300 wurde fast bei allen Weilern im Klostergebiet zu den schon bestehenden Höfen, in angemessenem Verhältnis noch kleine Sölden mit angesiedelt. In Hirschau waren dies damals zwei Sölden, die wie die vier Höfe über viele Jahrhunderte fast unverändert erhalten geblieben sind.

Die zugehörigen Grundflächen hatten bei den Höfen eine Größe von etwa 80 bis 100 Tagwerk, bei den Sölden meist unter 20 Tagwerk. Der Viehbestand lag bei den Höfen um 10 Stück Hauptvieh, bei den Sölden zwischen ein und drei Stück Vieh. Die sechs Anwesenbesitzer in Hirschau durften außerdem eine klostereigene Viehweidefläche, im Süden des Ortes gelegen, von etwa 300 Tagwerk Größe mitbenutzen, doch war dort die Art der Beweidung wie Weidezeit, Anzahl des Viehs, Zaunpflicht und anderes genau vorgeschrieben.

Die Höfe selbst waren zwar auch immer Eigenbesitz des Klosters, die dort lebenden Bauern waren nur im Lehen, also Pächter, doch wurde wenn keine groben Verstöße vorkamen die Wiederverpachtung meist in den gleichen Familien belassen. Weiterverpachtungen galten stets nur für ein Jahr. Beim Wechsel eines Pächters mußten jedesmal recht hohe Ein- und Ausstandgelder bezahlt werden.

Erst im Jahre 1712 wurde das Erbrecht auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, natürlich wurden auch danach stets "angemessene" Gebühren verlangt.

Als arge Last wurden auch die Naturalabgaben, der sogenannte "Zehent" empfunden, ebenso wie die recht umfangreichen Scharwerksarbeiten. Diese mußten für die Klosterobrigkeit verrichtet werden und umfaßten pro Hof rund 28 Arbeitstage im Jahr.

Die älteste schriftliche Erwähnung der Ortschaft Hirschau stammt vom Jahre 1234. Seit dem Jahre 1594 sind die Namen aller Hofbesitzer in Hirschau lückenlos nachweisbar. Bei Auflösung des Klosters Steingaden im Jahre 1803, wurden die vorher klostereigenen Höfe den damaligen Hofinhabern als Eigenbesitz übertragen. Statt der vormaligen Abgaben, mußten nun jedoch Steuern an den Staat entrichtet werden. Die frühere Klosterviehweide wurde nun gemeinsamer Eigenbesitz der 6 Hirschauer, wobei jeder, ob Hofinhaber oder Söldner einen gleichen Anteil, das sogenannte Viehweidrecht, zuprotokolliert bekam.

Der Weiler Hirschau, der bisher zum Lauterbacher Klosterviertl gehört hatte, wurde nun dem neugeschaffenen Steuerdistrikt Urspring zugeteilt. Im Jahre 1809 wurde Urspring eine eigene politische Gemeinde und die Hirschau dabei dorthin eingemeindet. Alle 6 Anwesen in Hirschau erhielten nun Hausnummern, es waren dies die Nummern 122 bis 127. Die schon im Jahre 1760 eingeführten und nun eigentlich überflüssigen Hausnamen blieben daneben im Volksmund bis in die Neuzeit erhalten.

 

 

Das Ende der Ortschaft Hirschau

 

Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einem wohl einmaligen Vorgang in der Heimatgeschichte, nämlich dem Verschwinden eines sechs Anwesen großen und seit Jahrhunderten bestehenden Ortes.

Nachfolgend eine Aufstellung der ehemaligen Anwesen in Hirschau.

 

Hausnummer 122      Der Schallerhof             77,94 Tagwerk

Hausnummer 123      Der Schlaucherhof        94,94 Tagwerk

Hausnummer 124      Das Schneidergütl         24,91 Tagwerk

Hausnummer 125      Der Schererhof           108,83 Tagwerk

Hausnummer 126      Der Bleicherhof             84,39 Tagwerk

Hausnummer 127      Das Hoisengütl             15,31 Tagwerk

 

Am 8. Juni 1883 erwarb der Gutsbesitzer Wilhelm Bayer aus Bentheim, von Josef und Creszenz Dürr, um 20571 Goldmark den Schlaucherhof, HsNr. 123. Bayer wollte sich hier in Hirschau einen neuen Gutsbesitz aufbauen. Der Preis für diesen Hof war zwar etwas hoch, doch muß man wissen, daß das Anwesen erst im Jahre 1875 von Grund auf neu erbaut worden war.

Wohl vom Glanz des Geldes geblendet, verkauften am 8. Oktober 1883 Sebastian und Magdalena Lutz um 6632 Goldmark den Schallerhof, HsNr. 122 und mit gleichem Datum auch Nikolaus und Josefa Streidl um 8200 Goldmark den Schererhof, HsNr. 125, an den neuen Hirschauer Gutsbesitzer Wilhelm Bayer.

Als dann am 14. Januar 1885 auch noch die Witwe Rosalia Kirchbichler um 2114 Goldmark das Schneidergütl, HsNr. 124, an Wilhelm Bayer verkaufte, war Hirschau schon fast in Alleinbesitz des neuen Gutsherrn.

Am 10. Mai 1890 hatte Wilhelm Bayer endlich sein Ziel erreicht. An diesem Tage verkauften an ihn, Hermann und Viktoria Niggl um 9200 Goldmark den Bleicherhof, HsNr. 126, sowie Josef und Barbara Holzmann um 4000 Goldmark das Hoisengütl, HsNr. 127. Der Kauf des winzigen Hoisengütls um 4000 Goldmark war für Wilhelm Bayer sicher die teuerste, der Verkäufer erkannte diese einmalige Chance, aber auch die wichtigste Erwerbung, denn dadurch war nun der ganze Ort Hirschau in der Hand eines einzigen Besitzers.

Die Gebäude der Hofstellen HsNr. 122, 124 und 125 wurden nach dem Verkauf an Wilhelm Bayer nicht mehr bewohnt, nur die zwei zuletzt erkauften Anwesen wurden noch genutzt, der Blaicherhof, HsNr. 126, als Personalgebäude, das Hoisengütl, HsNr. 127, als Austragshaus.

Vielleicht hatte sich Wilhelm Bayer mit den vielen Käufen übernommen, oder er war nur ein gerissener Spekulant, jedenfalls verkaufte er am gleichen Tage als er die letzten zwei Anwesen erworben hatte, dem 10. Mai 1890, den Gesamtbesitz Hirschau um den gewaltigen Preis von 146 000 Goldmark an die Immobilienhändler Julius Schlör und Josef Blon weiter.

 

 

Wechselvolle Zeiten

 

Der beschriebene Besitzerwechsel an die Immobilienhändler Schlör und Blon sollte nicht der einzige bleiben. In den nächsten 25 Jahren folgte noch eine ganze Reihe weiterer Besitzerwechsel. Sie alle waren vorwiegend Spekulationsgeschäfte, wobei der riesige Gesamtbesitz Hirschau fast immer als zusammengehörige Einheit gehandelt wurde.

Da der jeweilige Besitzer ja alle Hofstellen in Hirschau besaß, war die frühere dortige Gemeinschaftsviehweide nun ein dazugehöriger Teil dieses Gesamtbesitzes geworden. Die früheren einzelnen Viehweidrechte gab es nun nicht mehr. Zu diesem Besitz Hirschau gehörten außerdem noch zwei Anteile am Trauchberg, sogenannte Bergrechte.

Die Serie der Besitzerwechsel begann mit dem Konkurs der bisherigen Besitzer Schlör und Blon. Bei der am 9. April 1891 erfolgten Zwangsversteigerung ging der Zuschlag an einen Theodor Höck aus München, der damit neuer Besitzer der Hirschau wurde.

Im Jahre 1993 ließ dieser die drei leerstehenden Hofstellen HsNr. 122, 124 und 125 abbrechen.

Am 30. März 1896 verkaufte Theodor Höck den Besitz Hirschau an einen Karl Schmidbauer aus München.

Doch schon am 15. Oktober 1896 vertauschte der neue Besitzer Karl Schmidbauer den ganzen Besitz Hirschau gegen mehrere wertvolle Grundstücke in München-Bogenhausen. Diese Grundstücke hatten dem vorherigen Hirschaubesitzer Theodor Höck gehört und so wurde dieser durch diesen Tausch nun erneut Besitzer der Hirschau.

Im Jahre 1898 erfolgte ein erneuter Tausch, diesesmal die Hirschau gegen Grundstücke in München-Freimann. Da der dortige Vorbesitzer Karl Schmidbauer gewesen war, der schon von 1893 bis 1896 die Hirschau besaß, kam dieser Münchner Spekulant nun auch zum zweiten Male zu diesem Besitz.

Am 31. Mai 1899 kaufte Karl Schmidbauer von der Witwe Therese Keller, den zum Verkauf anstehenden Bruckerhof um 4000 Goldmark und vereinigte diesen mit seinem Besitz Hirschau, der sich dadurch um weitere 42,31 Tagwerk vergrößerte.

Bei der am 2. November 1899 erfolgten Zwangsversteigerung des Anwesens "beim Augl" in Jagdberg (heute Weber) und des daneben liegenden ehemaligen Söldenanwesens "beim Schuster" (im Jahre 1919 abgebrochen), erhielt Karl Schmidbauer mit seinem Gebot den Zuschlag. Die Größe dieser beiden ersteigerten Jagdberger Anwesen betrug 209 Tagwerk, womit der neue Gesamtbesitz Hirschau-Bruckerhof-Jagdberg des Karl Schmidbauer nun eine recht gewaltige Größe hatte.

Am 13. April 1901 wurde wieder einmal getauscht. Karl Schmidbauer tauschte sich Grundstücke in München-Thalkirchen gegen seinen Besitz Hirschau-Bruckerhof-Jagdberg ein. Neuer Besitzer in Hirschau wurde durch diesen Tausch ein Franz Schlewitz.

Franz Schlewitz ließ beim Haupthof in Hirschau, HsNr. 123 den Stall und eine Remise neu erbauen, bevor er am 4. Dezember 1901 seine ganzen Besitzungen Hirschau-Bruckerhof-Jagdberg an einen Heinrich Buchner von München verkaufte.

Für mehrere Jahre kehrte nun Ruhe in der Hirschau ein, nur kurz unterbrochen, als im Jahre 1912 das Austragshaus, HsNr. 127 in Hirschau bis auf den Grund niederbrannte. Dieses Gebäude wurde anschließend nicht wieder aufgebaut.

In diesen Jahren zwischen 1905 und 1912 wurden mehrere Grundstücke, mit einer Gesamtgröße von rund 40 Tagwerk, vom Besitz Hirschau zum "Auglhof" in Jagdberg transveriert.

Am 11. August 1913 kam es wieder einmal zu einer Zwangsversteigerung. Um das Höchstgebot von 117000 Goldmark fiel der Gesamtbesitz Hirschau-Bruckerhof-Jagdberg an Alexander Arnold aus München.

Am 22. November 1916 gab es bereits den nächsten Besitzerwechsel in Hirschau. Um den Preis von 155 000 Mark wurden die Besitzungen in Hirschau und der Bruckerhof an August Wilhelm Andernack von Beuel am Rhein verkauft. Die zwei Anwesen in Jagdberg blieben in Besitz von Alexander Arnold. Dieser hatte vor diesem Verkauf noch ca. 40 Tagwerk Grundfläche von seinem Vorbesitz Hirschau hierher gezogen.

In den nächsten 12 Jahren gab es dann folgende Änderungen an den Besitzungen Hirschau-Bruckerhof und Jagdberg.

Am 19. März 1918 kamen durch Kauf die zwei Anwesen in Jagdberg wieder zum Gesamtbesitz Hirschau-Bruckerhof des August Wilhelm Andernack zurück.

Am 8. Juli 1919 übergab August Wilhelm Andernack den "Auglhof", HsNr. 117 in Jagdberg, an seine Söhne August und Gerhard Andernack. Das "Schustergütl" HsNr. 119 in Jagdberg wurde damals abgebrochen und die dazugehörigen Grundstücke zum "Auglhof" transveriert.

Anm. Nach vier weiteren Besitzerwechseln erwarben am 23. März 1961 durch Kauf, Johann und Katharina Weber, die Eltern des heutigen Besitzers, den          "Auglhof" in Jagdberg.

Auch den "Bruckerhof", HsNr. 121 übergab August Wilhelm Andernack am 8. Juli 1919 an seine Söhne August und Gerhard Andernack.

Anm. Am 19. Juni 1929, wurde der "Bruckerhof" um 6200 Mark an Franz und Anna Lutz aus Steingaden verkauft.

Im Jahre 1921 wurde beim Hauptanwesen, HsNr. 123 in Hirschau ein neuer und größerer Stall erbaut.

In diesen Jahren wurden erneut ca. 35 Tagwerk Grundfäche, vom Besitz Hirschau an den "Auglhof" in Jagdberg verkauft.

Am 12. Februar 1930 folgte ein vorläufiger Schlußpunkt der vielen Besitzerwechsel. August Wilhelm Andernack verkaufte um 80000 Mark, einschließlich 40000 Mark für die beweglichen Güter, den gesamten Besitz Hirschau, an den Dalehenskassen-Verein-Steingaden.

 

 

Die neue Hirschau

 

Als neuer Hirschaubesitzer beschränkte sich der Darlehenskassenverein Steingaden nach diesem Kauf des Jahres 1930, zunächst auf die Verpachtung des dortigen Hofes, sowie auf das Betreiben einer Gastweide für das Jungvieh der Bauern ihres Geschäftsbereiches.

Zwischen 1930 und 1939 wurden viele Grundstücke in Hirschau neu vermessen und umgeschrieben. Die früheren sechs einzelnen Besitze in Hirschau waren im Grundbuch von den Vorbesitzern nie zu einem Gesamtbesitz zusammengelegt worden.

Von Beginn des 2. Weltkrieges im Jahre 1939 bis zum Jahre 1954, wurden in Hirschau keine Grundstücksänderungen mehr vorgenommen.

Die Verwendung des Personalhauses, HsNr. 126 in Hirschau in den Jahren 1940 bis 1944 als Lager für französische Kriegsgefangene, sie waren zur Moorkultivierung eingesetzt, sei nur der Vollständigkeithalber erwähnt. Eine Zusammenfassung über diese "Hirschau-Sondernutzung" ist als Anlage beigefügt.

Eine neues Zeitalter der Hirschaugeschichte begann im Jahre 1954. Am 30. September 1954 wurde das "Gut", wie der Hof, HsNr. 123 in Hirschau im Volksmund genannt wurde, sowie große Grundflächen im Osten und Norden von Hirschau, etwa die Hälfte des Gesamtbesitzes, um den Preis von 220 000 Mark an die Bayerische Landessiedlung verkauft.

Diese ließ dort zwischen 1954 und 1958 für siedlungswillige Landwirte drei neue Hofstellen erbauen. Das ehemalige Personalhaus, HsNr 126, das in der Nachkriegszeit von mehreren Flüchtlingsfamilien bewohnt war, wurde im Zuge dieser Neubauten abgebrochen. Somit blieb als letzter Zeuge der ehemaligen alten Hirschau, nur noch das sogenannte "Gut", das Anwesen HsNr. 123 (heute Pohlers) übrig.

Mit dem Bau der drei neuen Höfe in Hirschau in den 50er Jahren und dem etwas später erbauten Aussiedlerhof Kees, als der vierten und bisher letzten Hofansiedlung, ist die neue Hirschau nun auf insgesamt fünf Höfe angewachsen und hat somit fast wieder die frühere Ortsgröße mit ehemals sechs Anwesen erreicht.

Die andere Hälfte des Hirschaubesitzes, meist im Süden und Westen des Ortes gelegen, ebenfalls rund 300 Tagwerk groß, blieb in Besitz der Raiffeisenbank Steingaden. Einige Grundstücke davon wurden später beim Bau des Lechstausees vertauscht, der Restbesitz wird noch wie früher als Viehweide genutzt.

Hier endet die kleine Chronik über 75 wechselvolle und bewegte Jahre Geschichte Hirschau.