Chronik des Steingadener Anwesens  "beim Schneider"

(heute Tankstelle Strauß)

 

 

Die Vorgeschichte

 

Die Zeit bis zum Jahre 1872

Die Grundfläche auf der heute das Anwesen "beim Schneider" steht, war früher Teil eines größeren Grundstückes mit der Plannummer 1054. Dieses Grundstück war in Besitz eines Thomas Schweiger, dieser war der ehemalige Zieglermeister von Steingaden. Dessen Ziegelei stand etwa dort, wo sich heute das bäuerliche Anwesens "beim Schilder" befindet.

 

Im Jahre 1835 errichtete der junge Maurer- und Zieglermeister Ludwig Eicher aus Urspring, beim heutigen Anwesen "beim Maurermeister", eine neue moderne Ziegelei. Der frühere ZieglermeisterThomas Schweiger gab daraufhin seine veraltete, nicht mehr rationell arbeitende Ziegelei auf, verkaufte die dazugehörigen Gebäude und auch die meisten der um die Ziegelei liegenden Grundstücke. Er selbst ging in den Austrag und zog in sein früheres Nebenhäusl, das heutige Anwesen "beim Mühlegger".

 

Dieses Häusl hatte sich Thomas Schweiger beim Verkauf der Ziegelei ausgenommen, mit dazu auch mehrere Grundstücke. Eines davon war das schon genannte Grundstück mit der Plannummer 1054.

 

Die heutige Schongauer- und die Ammergauerstraße hatten damals noch einen völlig anderen Verlauf, es gab noch keinen Zimmerstadl, kein Anwesen Alfred Schweiger, kein Anwesen Kirchmeier, kein Anwesen Graf und auch noch keinen Bierkeller am Kellerberg.

 

 

Der Bau des Hauses

 

Im Jahre 1872

Im Jahre 1872 ließ Thomas Schweiger von seinem Grundstück PlNr.1054 eine Teilfläche mit einer Größe von 0,10 Tagwerk (0,034 ha) wegmessen und verkaufte dieses neuentstandene kleine Grundstück an einen Johann Baptist Ott von Lauterbach. Der Preis für diesen Bauplatz, der die neue PlNr.1054 ½ erhielt und im damaligen Grundkataster als nunmehriger Besitz "Nr.1/12 Steingaden" eingetragen und geführt wurde, betrug 250 Gulden, nach heutiger Währung etwa 450 Mark.

 

Noch im gleichen Jahre 1872 erbaute Johann Babtist Ott auf diesem Grundstück ein Wohnhaus.

 

Dieses Austragshaus für das Ehepaar Ott war für damalige Verhältnisse schon fast ein Haus der Luxusklasse. Normale Austragshäuser waren früher kleine ebenerdige Gebäude in einfachster Bauweise und Ausstattung in meist hinterer Lage. Dieses neuerbaute Haus war jedoch, da direkt an der Straße gelegen, doppelstöckig, sogar mit Kachelöfen in fast allen Räumen, schon eine bemerkenswerte Ausnahme.

 

Etwas verspätet, nämlich erst nach Fertigstellung des Hauses, das durch die zuständige Gemeinde Urspring die neugeschaffene Hausnummer "Steingaden 143" zugeteilt bekam, wurde der Grundverkauf auch gerichtlich protokolliert. Die Umschreibung auf den neuen Besitzer fand am 4. Dezember 1872 beim Notar in Schongau statt.

 

 

Johann Babtist Ott

 

Seine Lebensgeschichte

Johann Babtist Ott wurde am 31. Dezember 1815 in Engen geboren. Er war ein Sohn des Drechslerehepaares Franz und Maria Anna Ott. Franz Ott war als Drechsler beim "Engenmaler" beschäftigt und hatte dort seine spätere Ehefrau Maria Anna, geborene Ramis, sie war die Tochter seines Chefs, kennengelernt.

 

Nachdem der Vater Franz Ott im Jahre 1822 verstarb, heiratete noch im gleichen Jahr die Witwe Maria Anna Ott in zweiter Ehe den Steingadener Bäcker und Söldenbesitzer zu Lauterbach, Joseph Meschenmoser. Von nun an lebte der junge Johann Babtist Ott mit seiner Mutter und seinem Stiefvater auf dem Lauterbacher Anwesen "beim Leither", dem Heimathof der Meschenmoser.

 

Johann Babtist Ott lernte den Beruf eines Rechenmachers, den er neben seiner Mitarbeit auf der kleinen Landwirtschaft ausübte. Daneben wurde er von seinem Stiefvater Joseph Mechenmoser einem Klarinettenspieler, zu einem großen Könner auf diesem Instrument ausgebildet.

 

Im Jahre 1853 übernahm Johann Babtist Ott von seinem Stiefvater das Lauterbacher Anwesen "beim Leither". Im gleichen Jahr 1853 heiratete er Anna Maria Ried von Bernbach am Weichberg.

 

Im Jahre 1870, nach dem Tode der Mutter und des Stiefvaters, verkaufte Johann Babtist Ott, da seine Ehe kinderlos geblieben war, das Anwesen in Lauterbach, das Ehepaar Ott blieb aber weiterhin dort wohnen.

 

Im Jahre 1872, gleich nach Fertigstellung ihres Austragshauses in Steingaden, zog das Ehepaar Ott von Lauterbach nach Steingaden um.

 

 

Die weitere Hausgeschichte

 

Bis zum Jahre 1883

Johann Babtist Ott war ein sehr begnadeter Musiker. Er hat in seinem langen Musikerleben eine große Zahl von Musikstücken selbst komponiert, von denen einzelne noch heute von einheimischen Gruppen gespielt werden. Besonders eingegangen in die Steingadener Musikgeschichte ist er vor allem durch ein 44seitiges handgeschriebenes Notenbuch für Klarinette, das im Original erhalten geblieben ist. Vielleicht sind viele dieser Musikstücke in seinem neuen Haus in Steingaden zu damaliger Zeit entstanden, wo er nun die Zeit und Ruhe für seine Musikleidenschaft fand.

 

Im Jahre 1883

Am 9. August 1883 übergab Johann Babtist Ott, inzwischen 67 Jahre alt, seinen gesamten Besitz in Steingaden, HsNr 143 an einen Mathias Schwarz. Der Wert dieses Besitzes wurde mit 2500 Goldmark angegeben. Bei der Übergabe hatte sich das Ehepaar Ott ein lebenslanges Wohnrecht in diesem Haus ausgenommen.

 

Im Jahre 1898

Am 23. September 1898, also bald nach dem Tod von Johann Babtist Ott, der hochbetagt am 4. Mai 1898 verstorben war, nachdem er 25 Jahre in seinem Steingadener Haus gelebt hatte, verkaufte Mathias Schwarz dieses Anwesen HsNr. 143 in Steingaden um 3600 Goldmark. Käufer und damit neue Besizter wurden ein Johann Stückl und eine Franziska Mayr zu je einem Hälfteanteil.

 

Im Jahre 1899

Am 9. Februar 1899 verkaufte Johann Stückl seinen Hälfteanteil an diesem Haus um 1800 Goldmark an Franziska Mayr, die damit Alleinbesitzerin des Anwesens HsNr. 143 wurde.

 

Schneidermeister Meschenmoser

Nachdem am 9. März 1899 auch Anna Maria Ott verstorben war, zog in die leerstehende Wohnung der Schneidermeister Gilbert Meschenmoser mit seiner Familie ein. Gilbert Meschenmoser war ein Vetter des verstorbenen Johann Babtist Ott, dem Erbauer dieses Hauses. Der Stiefvater von Johann Babtist Ott war ja wie schon beschrieben ein Joseph Meschenmoser gewesen. Gilbert Meschenmoser richtete sich in diesem Hause ein Schneidergeschäft ein, das später sein Sohn mit gleichem Namen bis in unsere Zeit betrieb. Der Hausname "beim Schneider" für dieses Anwesen geht auf die Schneiderfamilie Meschenmoser zurück. Dieser Hausname ist im Volksmund auch heute noch manchmal zu hören. Der frühere Hausname "beim Rechenmacher", bezogen auf den Beruf des Hauserbauers Johann Babtist Ott, ist dagegen aus dem Sprachgebrauch der Steingadener völlig verschwunden.

 

Da die früheren Hausbesitzer Schwarz, Stückl und auch Mayr ihr Anwesen nie selbst bewohnten, hatten auch schon vor der Familie Meschenmoser andere Familien dort in Miete gelebt. So wohnte bis zum Jahre 1890 eine Familie Noll, die aus Bayersoien stammte, in diesem Hause.

 

Im Jahre 1915

Besitzerin des Anwesens HsNr 143 war wie schon beschrieben, seit 1899 Franziska Mayr. Nach deren Tod wurde am 27. November 1915, auf Grund eines Dorftestamentes, nach Erbfolge die politische Gemeinde Urspring Besitzer des Anwesens.

 

Im Jahre 1916

Am 23. März 1916 verkaufte die politische Gemeinde Urspring das Anwesen HsNr. 143 in Steingaden, an die Besitzer des Nachbaranwesens Georg und Maria Anna Srauß. Als Verkaufspreis wurden 4800 Mark festgelegt, in diesem Preis waren jedoch die Mobilien, also die beweglichen Güter nicht enthalten.